Vor 127 Jahren. am 13 Mai 1868. ordnete die Königliche Eisenbahnverwaltung den Bau der Eisenbahn München - Rosenheim mit der Streckenführung über Grafing an
Mit dieser Bahnlinie entstand in der Nähe des Dorfes Kirchseeon, dem heutigen Kirchseeon-Dorf der Bahnhof gleichen Namens Die Anlage des Bahnhofs und der Holzreichtum des nahegelegenen Ebersberger Forstes veranlaßte die Königliche Bayerische Eisenbahnverwaltung. auf dem Gelände südlich des Bahnhofes (heute etwa IVECO) eine "Anstalt zur Herstellung und Tränkung von Eisenbahnschwellen" zu bauen. Diese erhielt den Namen "Kgl. Imprägnieranstalt Kirchseeon".
Nach dem Erwerb der dafür benötigten Grundfläche von ca. 35 Tagwerk (etwa 12 ha) mußte der dort vorhandene Fichtenbestand geschlagen werden. was im Herbst 1868 geschah.
Während der Bahnbau Kilometer um Kilometer fortschritt. entstand die erste Anlage der Imprägnieranstalt: ein 30 Meter tiefer Brunnen von 3 Metern Durchmesser mit Pumpwerk Eine gesicherte Wasserversorgung war natürlich für die Bevölkerung wichtig, aber auch für die damals noch mit Dampf betriebenen Maschinen. Im Frühjahr 1869 ging man daran eine Dampfsäge, eine Kyanisierhalle mit Sublimathütte zum Imprägnieren der für den Bahnbau benötigten Eisenbahnschwellen zu errichten. Dem folgten ein Verwaltungsgebäude und weitere Nebenbetriebe wie Schmiede und Schreinerei.
Im November 1902 begann man über dem Brunnenschacht einen insgesamt 27 Meter hohen Turm aus Backsteinen zu errichten. der 1903 fertig wurde. In etwa 15 Meter Höhe trägt dieser ein Wasserreservoir. von dem aus die Haushalte von Kirchseeon-Bahnhof mit Wasser beliefert wurden. bis schließlich um 1952 ein gemeindeeigener Brunnen die Versorgung übernahm Der heute als "Roter Turm" bezeichnete Bau über dem Brunnenschacht gilt als ein Wahrzeichen Kirchseeons
Im Sägewerk wurde zunächst nur mit einem, später mit mehreren Gattern Schwellen aus dem mit Pferdegespannen angefahrenen Stammholz geschnitten
Die durch Nonnenfraß verursachten Verheerungen im Ebersberger Forst (1890/92) gaben Anlaß. das Schwellenwerk mit fünf Gattern auszurüsten und auf dem Bahngelände auch drei Privatsägewerke entstehen zu lassen.
Viele Menschen fanden dadurch in Kirchseeon Arbeit. Somit begann im Ort Kirchseeon-Bahnhof ein wirtschaftlicher Aufschwung mit reger Bautätigkeit.
In der Zeit von 1902 bis 1910 stellten die Privatsägewerke ihre Tätigkeit wieder ein, dafür aber wurde der bahneigene Sägebetrieb erweitert
Die erste Tränkanlage (Kyanisierung) im Jahre 1869 erbaut. bestand aus rechteckigen, bohlengefügten Kästen, den sog. Kyanisierungströgen. Die fertig geschnittenen Schwellen wurden in das darin befindliche Quecksilber-Sublimat getaucht.
Diese Anlage wurde etwa um 1910 aufgelassen und durch eine größere Tränkanlage ersetzt, wovon eine nördlich zum Tränken von Weichenschwellen und eine südlich zum Tränken von Gleisschwellen benutzt wurde.
In diesen Anlagen wurde ursprünglich mit verdünntem Zinkchlorid, später mit Steinkohlenteeröl getränkt.
Die Absicht, die großen Fichtenbestände des nahen Forstes für die Schwellenherstellung zu verwenden wurde aufgegeben. als sich herausstellte, daß Fichtenholz für die Schwellenherstellung wenig geeignet ist. Es mußte vielmehr auf Föhre zurückgegriffen werden. Da der Ebersberger Forst nur einen geringen Bestand an Föhren
Aufwies, mußte das Schwellenholz bald aus weiter entfernten Standorten bezogen werden.
Nachdem der Erste Weltkrieg die Entwicklung des Schwellenwerks nicht wesentlich beeinträchtigt hatte, kamen mit dem technischen Fortschritt im Eisenbahnwesen auch neue Anforderungen auf den Gleisbau zu. Der Oberbau mußte also den höheren Geschwindigkeiten und Lasten der darauf fahrenden Züge gewachsen sein.
So entstanden neue Hallen. in denen leistungsfähige. mit elektrischer Kraft (!) angetriebene Maschinen aufgestellt wurden. die das Hobeln, Bohren, Aufplatten und Verladen der Schwellen rascher und mit weniger Einsatz von Muskelkraft ermöglichten
Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges liefen acht Gatter mit ihren Nebenmaschinen in zwei Sägehallen auf Hochtouren. um die im Winter angefallenen Rundholzmengen verarbeiten zu können.
1944 schlugen Bomben auch im Schwellenwerk ein Die alte Sägehalle wurde durch Brandbomben zerstört. Damit ging rund die Hälfte der Leistungsfähigkeit des Werkes verloren.
Mit dem Beginn des Wiederaufbaus im zerstörten Deutschland war auch der Bedarf an Schwellen hoch. Es bestand aber nicht nur die Notwendigkeit. den ursprünglichen Wirkungsgrad des Werkes wiederherzustellen. sondern auch den Gesichtspunkten rationeller und wirtschaftlicher Fertigung Rechnung zu tragen Überlegungen dieser Art leiteten einen neuen Abschnitt in der Geschichte des Schwellenwerks ein.
Die Planungsarbeiten für eine neue Sägehalle wurden bereits im Herbst 1947 aufgenommen.
Zwar wurde von Seiten der Privatindustrie der Einwand erhoben, daß sie diese Aufgabe ebenso sicher erfüllen könne. doch war vom Kriegsende bis zur Währungsreform die Holzindustrie kaum in der Lage. der damaligen Reichsbahn das für die Wiederherstellungsarbeiten dringend benötigte Werkstättenholz zu liefern, geschweige denn das Schwellenholz. So mußten bahneigene Sägewerke sowohl Werkstättenholz als auch Schwellen erzeugen
Mit Abschluß der Planungsphase stand fest, in Kirchseeon eine moderne Sägeanlage für den Einschnitt von Schwellen- und Werkstättenholz zu schaffen
Die Bautätigkeit für die neue Sägehalle begannen im Dezember 1947 mit dem Erdaushub für das 50 x 16 Meter messende Fundament. Am 15. Oktober 1948 war die Halle fertig. Da bei dem damaligen Stand der Industrie, kurz nach dem Krieg, nur wenige Firmen in der Lage waren, Spezialmaschinen herzustellen, wie sie für die neue Säge benötigt wurden, konnten erst im Juli 1950 die letzten Aufträge für die maschinelle Ausstattung vergeben werden
Die neue Sägehalle mit ihren Einrichtungen galt nach ihrer endgültigen Fertigstellung als eine der modernsten in Europa. Sogar in angloamerikanischen Fachzeitschriften wurde darüber berichtet. Pläne für den weiteren Ausbau des Schwellenwerkes, eine Erweiterung um 24000 Quadratmeter nach Süden für neue Trockenplätze, verbunden mit einer modernen Tränkanstalt, sowie neue Maschinen und Transportanlagen für den Nordteil des Werkes wurden nicht mehr in allen Punkten verwirklicht.
Zwar war die damalige Deutsche Bundesbahn bestrebt, mit den Entwicklungen in der Technik Schritt zu halten, doch befand sie sich damals bereits in finanzieller Bedrängnis und zum Sparen gezwungen. Privatwirtschaftliche Interessen stellten zudem die Rentabilität des Werks in Frage.
Im Jahre 1959 wurde das Schwellenwerk Kirchseeon aufgelöst Etwa 200 Arbeiter, Angestellte und Beamte fanden in anderen Betriebsbereichen der Deutschen Bundesbahn Beschäftigung.